Toxikologische und ökotoxikologische Wirkungsanalyse von Desinfektionsmitteln (Produktbenchmarking)

Toxikologische und ökotoxikologische Wirkungsanalyse von Desinfektionsmitteln (Produktbenchmarking)
Unter Produktbenchmarking versteht man den Vergleich einzelner Attribute eines Produktes bzw. eines Produktportfolios mit einem „Benchmark“. Die Benchmark ist dabei in der Regel der Marktführer im Produktsegment. Über den Vergleich werden Potentiale für das eigene Produkt abgeleitet[1]. In der vorliegenden Wirkungsanalyse werden die toxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften von Desinfektionsmitteln einem Benchmarking unterzogen. Diese Eigenschaften stellen für die menschliche Gesundheit und die (aquatische) Umwelt eine potentielle Gefährdung dar. Träger dieser Eigenschaften und Verursacher der Gefährdung sind die in den Produkten enthaltenen Inhaltsstoffe. Die Wirkungsanalyse verwendet die Gefahrenhinweise (H-Sätze) der Stoffe wie sie für die Einstufung und Kennzeichnung erstellt werden. Zu Beginn der Wirkungsanalyse wird festgelegt welche Gefährdungspotenziale als besonders besorgniserregend zu sehen sind und daher vermieden werden sollten. Für das Produktbenchmarking wird ein ausreichender Marktüberblick benötigt, dieser wird von der WIDES Datenbank bereitgestellt[2]. Die WIDES Datenbank enthält mehr als 240 am Markt erhältliche Desinfektionsmittel für die Anwendungsbereiche Fläche-, Hände-, Haut-, Instrumente- und Wäschedesinfektion. Ist ein Benchmarking für ein Produkt aus einem dieser Anwendungsbereiche geplant, dann können in der WIDES entsprechende „Benchmarks“ recherchiert werden. Das Produktbenchmarking sieht folgende Vorgangsweise für das zu bewertende Produkt und für die Produktalternativen (Benchmarks) vor:

Abbildung 1: Produktbenchmarking Desinfektionsmittel

PRODUKTBENCHMARKING-DESINFEKTIONSMITTEL

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Produktbenchmarking
[2] https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/desinfektionsmittel

Fallstudie

Die Fallstudie entstammt dem vom TB-Klade in den Jahren 2014-2015 für die Stadt Wien durchgeführten Beratungsprojekt Bewertung von in der Stadt Wien eingesetzten Desinfektionsmitteln aus toxikologischer Sicht. Das bewertete Desinfektionsmittel P3 ist eines von mehreren Desinfektionsmitteln das in öffentlichen Bädern für die routinemäßige Flächendesinfektion eingesetzt wird.

Unerwünschte Gefährdungen festlegen

Auf Basis einer Analyse von Biozidprodukteverordnung[3], der REACH Verordnung[4] und dem Österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzgesetz[5] wird festgelegt, dass folgende Gefährdungen zu vermeiden und daher  unerwünscht sind[6]:

Unerwünschte Gefährdungen

Anwendungsbedingungen festlegen

Der jährliche Verbrauch an P3 beträgt 1005 Liter Konzentrat. P3 ist laut WIDES Datenbank für die Anwendung in der Fläche-Wischdesinfektion zertifiziert, das Wirkungsspektrum lautet: bakterizid (außer Mykobakt.) + levurozid[7] bei geringer Kontamination + Wischen. Um die zertifizierte Wirksamkeit zu erreichen ist eine 0,5%ige Anwendungslösung wischend auf die Oberfläche aufzutragen und eine Einwirkzeit von 1 h einzuhalten.

Anwendungsbedingungen festlegen

[3] http://www.biozide.at
[4] http://www.reachhelpdesk.at
[5] https://www.arbeitsinspektion.gv.at
[6] Zur Begründung siehe auch: BEDENKLICHE STOFFEIGENSCHAFTEN
[7] Wirksamkeit gegen Sprosspilze

Inhaltsstoffliste mit Konzentrationsangaben und H-Sätzen erstellen

Der nächste Schritt war die Erstellung einer Liste der Inhaltsstoffe samt Konzentrationsangaben. Die Daten wurden aus der WIDES Datenbank („Produktbestandteile“) in eine (Excel) Tabelle übernommen, wobei nur die als gefährlich eingestuften Inhaltsstoffe berücksichtigt wurden. War in der WIDES für den Inhaltsstoff ein Konzentrationsbereich angegeben dann wurde der jeweils höhere Konzentrationswert übernommen. Die WIDES gibt die Einstufung eines Stoffes in zwei Varianten an.

  • H-Satz lt. SDB: In dieser Spalte werden die vom Hersteller im Sicherheitsdatenblatt angeführten H-Sätze zitiert.
  • H-Satz  lt. WIDES: In dieser Spalte werden die konsolidierten und für die Bewertung verwendeten H-Sätze zitiert.

Da Letztere mit den Einstufungen in REACH Dossiers bzw. Risk Assessment Reports abgeglichen sind kommt ihnen eine größere Relevanz bzw. Verlässlichkeit zu. Deshalb wurden diese in die Liste übernommen.

Inhaltsstoffliste mit Konzentrationsangaben und H-Sätzen erstellen

Inhaltsstoffe mit unerwünschten Gefährdungen identifizieren und Frachten berechnen

Für jeden Inhaltsstoff, der einen H-Satz mit unerwünschter Gefährdung (HuG) aufweist wird die Fracht wie folgt berechnet:

Formel

Für P 3 beträgt die Verbrauchsmenge 1005 Liter Konzentrat. In Tabelle 1 sind unerwünschte Gefährdungen indizierende H-Sätze (HuG) in Spalte 4 ausgewiesen. Die Spalten 5, 6 und 7 weisen die dazu berechneten Frachten aus. Schließlich wurde eine Umrechnung von Volumen (Liter) in Masse (kg) durchgeführt. Da die Dichte von P3 laut Sicherheitsdatenblatt mit 1,03 angegeben ist, wurde diese mit 1,0 genähert. Weicht die Dichte aber signifikant von 1 ab (z.B. bei höheren Anteilen von Alkoholen), dann ist mit der tatsächlichen  Dichte zu rechnen. Das Ergebnis kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Anwendung des Produktes P3 erzeugt eine jährliche Fracht von 75 kg Stoffe mit unerwünschter Gefährdung. Die berechnete Fracht betrifft zu 100% die aquatische Umwelt.

Tabelle 1: Jährliche Fracht an Stoffen mit unerwünschter Gefährdung

H-Satz mit unerwünschter Gefährdung

Produktalternative(n) auswählen

Dem Anwender des Rechenschemas steht es frei als Vergleich eine beliebige Produktalternative zu wählen sofern gewährleistet ist, dass die gewählte(n) Alternative(n) den festgelegten Anwendungsbedingungen genügen inklusive vergleichbarer Wirksamkeit. Die Produktalternativen für die Fallstudie wurden nicht frei gewählt sondern in der WIDES Datenbank abgefragt. Dazu wurde wie folgt vorgegangen:

  • Nach Einloggen und Öffnen des Moduls Produkte wurde der Anwendungsbereich Fläche-Wischdesinfektion aufgerufen.
  • In der Drop-down Liste wurde als Einwirkzeit 1h und als Wirkungsspektrum bakterizid (außer Mykobakt.)+levurozid, gering kontaminiert+Wischen ausgewählt und der Button Zur Bewertung gedrückt.

Die Abfrage ergab Produktalternativen für P3 (Name, Hersteller, Wirkstoffbasis) zusammen mit einer WIDES Bewertung in 6 Gefährdungskategorien[8]. Im vorliegenden Fall lieferte die WIDES Abfrage insgesamt 31 Produkte. Davon wurden in einem nächsten Schritt jeweils drei Produkte als „Best Case“ (relativ geringes Gefährdungspotenzial) und „Worst Case“ (relativ hohes Gefährdungspotenzial) Benchmarks ausgewählt. Die Auswahl wurde an Hand der WIDES Produktbewertung durchgeführt. In der WIDES wird die Bewertung wird Anwendern visuell als Farbfelder von schwach gelb (relativ geringe Gefährdung) über orange (mittlere Gefährdung) bis tieforange bzw. rot (relativ hohe bzw. sehr hohe Gefährdung) präsentiert. Fragezeichen in den Farbfeldern weisen auf Datenlücken in dem der Bewertung zugrunde liegenden Datensatz hin. Externe Anwender sind bei der Auswahl von Produktalternativen auf die visuelle Analyse bzw. eine Interpretation des Farbspektrums angewiesen[9].

Alternativenwahl in Abbildung 2 (visuelle Analyse):

  • Als Benchmarks mit einem relativ geringen Gefährdungspotenzial (Best Case) bieten sich die Produkte B und J an (Farbfelder in den relevanten Gefährdungskategorien Allergenes Potenzial; Erbgut-schädigend, krebserregend, fruchtschädigend, chronisch giftig und Verhalten in Oberflächengewässern sind hellgelb).
  • Als Benchmarks mit einem relativ hohen Gefährdungspotenzial (Worst Case) bieten sich die Produkte F und K an (dunkelgelbe bis orange Farbfeldern in den Gefährdungskategorien Allergenes Potenzial ; Erbgut-schädigend, krebserregend, fruchtschädigend, chronisch giftig und Verhalten in Oberflächengewässern)

Abbildung 2: Produktauswahlliste für Benchmarks

PRODUKTAUSWAHLLISTE FÜR Benchmarks

[8] Eine siebente Gefährdungskategorie („Entzündlichkeit“) ist für entzündliche Desinfektionsmittel vorgesehen, kommt im vorliegenden Beispiel aber nicht vor. Eine genaue Erläuterung zur Produktbewertung und den Rechenmodus geben Trainingsvideos und ein pdf Einführung in das Bewertungsraster auf der WIDES Startseite.
[9] Systemadministratoren der WIDES können bei der Auswahl (zusätzlich) auf die Produktbewertungszahlen zurückgreifen. Letzere sind für externe Anwender nicht freigeschaltet.

Sicherstellen, dass die Produktalternativen vergleichbar sind

Durch die Verwendung der WIDES für Auswahl der Produktalternativen ist per se gewährleistet, das P3  und die Produktalternativen in Bezug auf Anwendungsbereich und Wirkungsspektrum kompatibel sind.  Das Produkt P3 scheint – da es WIDES gelistet – auch in der Produktabfrage auf. Wird für die Wahl der Produktalternativen nicht die WIDES verwendet, dann ist die Vergleichbarkeit an Hand von Herstellerangaben und Zertifikaten[10] zu prüfen. Im vorliegenden Fall werden Konzentrate miteinander verglichen, daher ist folgendes zu beachten: Da sowohl P3 als auch die Produktalternativen vor der Anwendung verdünnt werden müssen,  ist die Berechnung der Fracht unerwünschter Gefährdung jeweils auf die Menge der Anwendungslösung von P3 zu beziehen. Da für P3 die Anwendungskonzentration 0,5% ist und dies eine jährliche Menge von 201.000 Liter Anwendungslösung ergibt, sind auch die Produktalternativen mit 201.000 Liter Anwendungslösung zu rechnen. Dass kann eine unterschiedliche Vergleichsmenge an Konzentrat bedingen:  Denn wird eine Produktalternative in einer Konzentration von 1% angewendet, dann werden für die Herstellung von 201.000 Liter Anwendungslösung 2010 Liter des Konzentrates benötigt.

Für jede Produktalternative:  Inhaltstoffliste mit Konzentrationsangaben und H-Sätzen erstellen; Inhaltsstoffe mit unerwünschten Gefährdungen identifizieren und Frachten berechnen

In der  vorliegenden Fallstudie wurden 6 Produktalternativen ausgewählt und zwar jeweils 3, welche ein Best Case Benchmark und 3, welche ein Worst Case Benchmark repräsentieren. Für jede Produktalternative wurde eine Inhaltstoffliste erstellt und eine Frachtberechnung durchgeführt.

Ergebnisse zusammenfassen und Schlussfolgerungen ziehen

Da das Benchmarking im Kern einen Vergleich darstellt ist die Zusammenfassung und Präsentation des  Ergebnisses ein wichtiger Punkt. Dafür werden Gestaltungoptionen in Form von Tabellen und Graphiken vorgeschlagen, die der Fallstudie entnommen sind. Darin Produkt P3 mit 3  „Best Case“  und 3 „Worst Case“ Alternativen verglichen.

Tabelle 2: Ergebnisdarstellung Benchmarking P3

Ergebnisdarstellung Benchmarking P3

[10] etwa Eintrag in der Desinfektionsmittelliste des VAH (http://www.vah-online.de/) bzw. der ÖGHMP (http://oeghmp.at)

Abbildung 3: Ergebnisdarstellung Benchmarking P3

BENCHMARKING P3

Abbildung 4: Ergebnisdarstellung Benchmarking P3

Schlußfolgerung / Empfehlung:

Die Anwendung von P3 generiert eine jährliche Fracht von 75 kg an Stoffen mit unerwünschter Gefährdung. Die berechnete Gefährdung betrifft zu 100% die aquatische Umwelt. Für die festgelegte Anwendung sind Produktalternativen mit gleicher Wirksamkeit verfügbar welche 0 kg an Stoffen mit unerwünschter Gefährdung emittieren. Mit dem Vorbehalt dass bei der Wahl der Alternativen Einschränkungen durch Materialunverträglichkeiten und Arbeitsbedingungen nicht berücksichtigt wurden kann eine Substitution von P3 durch Best Case Produkte empfohlen werden (Potential für Optimierung).